Kolumbiens zweitgrößte Stadt begrüßt uns mit Regen. Gute 3 Millionen Einwohner leben hier, inklusive Speckgürtel sind es sogar 4,5 Millionen.
Die Fahrt von Salento nach Medellín verlief recht kurzweilig. Gute 6 Stunden haben wir gebraucht inklusive Mittagspause. Gefühlt mitten im Nirgendwo gab es mal wieder eine leckere Sancocho, diesmal mit Schweinefleisch, sowie Saichipapa, in Öl frittierte Kartoffeln und Stücken einer recht mageren Wurst.
Innerhalb weniger Minuten hat sich der Regen wieder gelegt. Waren es doch Freudentränen, um den verlorenen Sohn zu Hause zu begrüßen? 🤣
Unser Hotel Quinta Ladera liegt im noblen und zugleich ältesten Stadtteil El Poblado, in der Nähe vom Parque Lleras, wo das Leben pulsiert. 1616 gegründet entwickelte sich die Stadt über Jahrhunderte zu dem, was sie heute ist.
Jason zeigt uns noch das Viertel, welches für seine Lebensqualität und erstklassigen Restaurants bekannt ist. Natürlich nicht ohne auf die Gefahr der Metropole hinzuweisen.
Medellín ist bekannt für seine lebhafte, urbane Street Art Szene. Oft schmücken riesige Graffitis die Gebäude. Die Kunstwerke spiegeln Themen wie Hoffnung, Widerstandsfähigkeit und Gemeinschaft, aber auch die vielfältigen kulturellen Einflüsse der Stadt wieder.
Zudem hat er noch den einen oder anderen Tipp bezüglich einer guten Ajiaco und Bandeja Paisa in petto 👌
Bandeja Paisa ist ein bekanntes Gericht aus der Region Antioquia. Sie besteht typischerweise aus gegrilltem Fleisch, Chorizo, Blutwurst, Chicharrón, Reis, Bohnen, gebratenen Eiern, Avocado, Plátano Maduro, Arepas und Hogao.
Er warnt uns vor den großen Portionen und rät uns, eine Platte für 2 Personen zu bestellen. Wir folgen seinem Rat und wünschen ihm einen tollen Abend, denn seine Familie wartet schon auf ihn 😇
Wir genehmigen uns noch einen Absacker im BBC, einer der vielen Bars nahe des Parques Lleras. Vor allem Touristen machen hier die Nacht dem Tag - die Polizeipräsenz ist nicht zu übersehen.
Nach dem Frühstück im kleinen, aber feinen Hotelrestaurant Ganso & Castor bringt Camilio uns zur Metro Station, wo wir Dirk treffen. Ursprünglich kommt er vom Niederrhein und ist vor 14 Jahren endgültig nach Kolumbien ausgewandert - natürlich der Liebe wegen ❤️
Dirk begleitet uns durch seine Wahlheimat Medellín und vertieft die Geschichte der Stadt, die es 1993 sogar ins Guinness Buch der Rekorde schaffte.
Wie? Mit 380 Morden auf 100.000 Einwohnern war sie die gefährlichste Stadt der Welt - Dunkelziffer unbekannt 😱
Der soziale Wandel begann erst gute 10 Jahre später, wozu auch die Fertigstellung der Metro, der Seilbahn sowie die Rolltreppen in der Comuna 13 ihren Beitrag leisteten.
Sie verbanden die Stadtviertel miteinander, so dass auch die Armen Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und vor allem Arbeit bekamen.
Hier gilt das Motto: Gemeinwohl geht vor Eigenwohl und weil die Menschen hier unter anderem die Metro als ihres betrachten, halten sie sie auch sauber. Kein einzigster Zigarettenstummel liegt herum. Da könnte sich so manch einer eine Scheibe abschneiden.
Wir überqueren das ein oder andere Viertel mit der Seilbahn 🚠 Anschließend geht es mit dem öffentlichen Bus weiter in die berühmte Comuna 13 in San Javier, eine der 16 Comunas in Medellín. Die Fahrt kostet umgerechnet 1 Euro.
Wie auch einige andere befindet sich der Stadtteil größtenteils an steilen Hängen und kleine Häuser schmiegen sich dicht aneinander. Mit rund 180.000 Menschen, die hier leben, gehört die Cumona 13 zu den am dichtesten bevölkerten Vierteln vom Medellín.
Wir treffen den Sänger und Musikproduzent Di Brave. Er begleitet uns auf unserem faszinierenden Rundgang durch die Comuna 13 und erklärt uns, was es mit den Graffitis und dem Hip Hop auf sich hat.
Alle 6-8 Monate entstehen neue Kunstwerke. Jedes drückt Hoffnung auf eine bessere Zukunft aus und symbolisiert den sozialen Wandel der Zeit, der zum Glück nicht zum Stillstand kommt.
Wahrzeichen des sogenannten Barrios sind die berühmten Rolltreppen, mit denen wir und zahlreiche andere Touristen, die etwa 130 Höhenmeter in gerade mal 6 Minuten überwinden - zumindest wäre das machbar, wenn wir uns nicht von den vielen Eindrücken ablenken lassen würden 😂
Wir kürzen nur auf dem Rückweg ab. Hoch laufen wir. Nur so kommen wir in den Genuss der leckeren Arepas 😋 Natürlich probieren wir hinterher noch das Mango-Maracuja-Eis, was leicht salzig schmeckt.
Dass das heute so möglich ist, verdankt dieses Viertel unter anderem Menschen wie Di Brave, aber noch viel beeindruckender ist Maria.
Sie erzählt uns die dunkle Geschichte der Comuna 13, die sich in viele Kunstwerken der Street Art Szene widerspiegelt.
Einst gehörte dieser Stadtteil zu den gefährlichsten Ecken von Medellín, geprägt von Kriminalität und Gewalt. Es herrschte Krieg. Und natürlich mittendrin statt nur dabei das Kartell und die Guerillas. Ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung übten sie ihre Macht aus.
Grund genug für den damals frischgewählten Präsident Uribe bis 2002 insgesamt 26 Militäroperationen in der Comune 13 durchzuführen.
Klingt erstmal logisch, doch allein die letzten 3 forderten eine 3- bis 4-stellige Anzahl an Todesopfern in der Zivilbevölkerung - immer gerechtfertigt unter dem Deckmantel, die Sicherheit in der Region wiederherzustellen und die kriminelle Gruppen zu bekämpfen 😳
Doch es wurde nicht gezielt auf die Banden und Guerillas losgegangen, sondern wahllos auf die Zivilbevölkerung geschossen, schließlich seien ja alle, die in diesem Viertel leben, kriminell 😱
Während der Militäroperationen schwenkten zahlreiche Bewohner immer wieder weiße Bettlaken und Tücher, um eine Feuerpause einzufordern - ohne Erfolg.
Maria gehört mit ihren 70 Jahren zu den Augenzeugen dieser schrecklichen Zeit. Kein Wunder, dass sie der Regierung ein Dorn im Auge war und ist. Und ja, natürlich fürchtete auch sie um ihr Leben.
Doch wie sagte sie so schön: „Du musst die eigene Angst beiseite schieben, wenn Du dich als Anführer für soziale Gerechtigkeit und die Verbesserung der Lebensbedingungen benachteiligter Gemeinschaften einsetzt willst.“
Unter dem Motto: „Ohne die Stimme der Frau ist die Wahrheit nur die Hälfte wert.“ engagiert sie sich noch heute und erzählt uns, wie sie die Militäroperationen erlebt hat 😔
Im Zuge der Operation Atocha verhaftete die Polizei wahllos mehrere Hundert Kinder und Jugendliche und übergab sie den Paramilitärs. Diese richten sie systematisch hin. Die genaue Zahl der Toten kennt niemand, weil fast alle Beweise vernichten wurden.
Was im Klartext heißt, die meisten Toten wurden mit Macheten zerstückelt und in den Fluss geworfen. Das zu hören ist brutal. Zumal Maria ihren Sohn nur retten konnte, weil sie auf den Polizisten einredetet 🙏
Die Behörden stritten natürlich alles ab. In ihren Augen haben sie auch während der Operation Orion nie absichtlich auf Zivilisten gezielt, obwohl sie das Viertel mit Panzern abschotteten und mit Blackhawks blind auf die Menschen schossen 😡
Wie sehr sie die Geschehnisse mitgenommen haben, zeigt ihre Reaktion, als ein Hubschrauber über das Viertel flieht. Sie zuckt kurz zusammen, fängt sich aber gleich wieder.
Zum Glück hat sich Maria nie einschüchtern lassen, obwohl der Kampf sie selbst zwei Söhne und einen Enkel gekostet hat. Die UN 🇺🇳 wurde auf sie aufmerksam, holte sie aus dem Gefängnis und leitete die Untersuchungen zur Aufdeckung der Menschenrechtsverletzungen während der bewaffneten Konflikte ein.
Ein langjähriges Unterfangen, was natürlich keinen der Toten zurückbringt. Dennoch laufen zahlreiche Untersuchungen, unter anderem gegen den damaligen Bürgermeister, der in der Nähe von Medellín mit seinen 150 Leibwächtern sein Leben als einer der reichsten Großgrundbesitzer frönt. Alles, was sie wollen ist eine öffentliche Entschuldigung 😓
Über uns befinden sich die Räumlichkeiten der Stiftung Casa de la Madre y el Niño, wo Maria bereits seit über 30 Jahren benachteiligten Kindern Zugang zu Bildung in Form von Hausaufgabenbetreuung, Sprachkursen und vielem mehr ermöglicht.
Ihr nächstes Projekt steht schon in den Startlöchern. Sie möchte gerne eine Bibliothek aufbauen. Denn in ihren Augen sollen Kinder auch lernen, zu lernen und nicht einfach zu googeln ☺️
Da helfen wir doch gern und bedanken uns bei World Insight, dass sie so eine tolle Initiative unterstützen. Viel Glück, Maria 🍀
In der Nähe der Metrostation San Javier befindet sich die Homebase von Di Brave. Zusammen mit 20 jungen Menschen kümmert sich das Kulturzentrum mehr oder minder ehrenamtlich um 100 Kinder. Sie bekommen was zu essen, lernen Hip Hop und werden wie wir in die Kunst der Graffitis eingeführt 👍
Mit der Casa Kolacho haben Di Brave und die anderen Guides die Vision ihres besten Freundes verwirklicht, der 2009 wie so viele von einer verirrten Kugel getroffen wurde.
Auf dem Rückweg machen wir noch einen kleinen Zwischenstopp im Zentrum. Wir durchqueren den Palacio Nacional. Das historische Gebäude wurde von dem belgischen Architekten Agustín Goovaerts entworfen und zwischen 1925 und 1937 erbaut 🇧🇪
Es gehört neben der Kathedrale Basílica Metropolitana de la Inmaculada Concepción, die wir nicht besichtigen, zu den wichtigsten Wahrzeichen der Stadt 😲
Es wurde seiner Zeit als Rathaus und später als Justizpalast genutzt. Heute beherbergt es viele kleine Läden sowie die ein oder andere Galerie.
Vorbei an der ältesten Kirche der Stadt, der Parroquia de la Veracruz, geht es direkt zum Plaza Botero, wo der weltberühmte Maler und Bildhauer Fernando Botero 23 eindrucksvolle Statuen geschaffen hat 😎
Diese üppigen und übergroßen Figuren, die Boteros kraftvolle und oft humorvolle Darstellung von Mensch und Tier zeigen, sind charakteristisch für seinen einzigartigen Stil und ziehen Kunstliebhaber aus aller Welt an 🙃🙂
Sein wichtigstes Anliegen war, seine Kunst soll jedem kostenlos zugänglich sein, egal ob im öffentlichen Raum oder im Museum 👌
Uns entgeht nicht, dass sich das Stadtbild langsam verändert und von sehr vielen leicht bekleideten, zum Teil sehr jungen Mädchen geprägt ist.
Wir sind ganz in der Nähe des Stadtteils El Centro, der für das Leben auf der Straße und seinen Straßenstrich berüchtigt ist. Tagsüber kein Problem, abends solltet Ihr diese Gegend definitiv meiden 😬
Zurück im Hotel lassen wir die ganzen Eindrücke nochmals Revue passieren - gar nicht so einfach, das Gehörte zu verstehen, geschweige denn zu verarbeiten. Das wird Einige von uns sicherlich noch etwas beschäftigen.
Den Abend lassen wir in einem sehr guten Restaurant ausklingen. Die Cocktails und das Essen sind fabelhaft. Es gibt Ceviche und Steaks auf Kokosreis 😋
Morgen geht’s weiter nach Cartagena. Wir sind schon sehr gespannt, was uns an der Karibikküste erwartet - auf jeden Fall das ein oder andere Grad mehr und hoffentlich Sonne satt ☀️